Als erster sowjetischer Stadtkommandant und Chef der Sowjetischen Garnison in Berlin war Nikolai E. Bersarin nur 55 Tage im Amt, dennoch blieb er einer der bekanntesten. Die Stadtkommandantur hatte ihren Sitz in Friedrichsfelde, das Hauptquartier der Garnison lag in Karlshorst. Am 16. Juni 1945 kam er auf dem Weg zwischen den beiden Orten bei einem Motorradunfall ums Leben. Auch wenn sich einige Vermutungen um den Hintergrund des Unfalls ranken und der Ort an der heutigen Kreuzung Am Tierpark/Alfred-Kowalke-Straße immer wieder hinterfragt wurde, so bleibt dieser Hergang zweifellos der glaubhafteste. Auf den Tag 25 Jahre später enthüllte der Bezirk hier eine Gedenktafel. Unser Mitglied Dr. Wolfgang Helfritsch war am 16. Juni 2020 dabei – seinen Text veröffentlichen wir hier:
Wolfgang Helfritsch: Keine Siegerposen, sondern praktische Taten
(Begegnung mit Nikolai Bersarin an seinem 75. Todestag)
„Das sommerliche Wetter meinte es gut mit den zur Ehrung Nikolai Erastowitsch Bersarins Erschienenen, als die Uhr der nahen Friedrichsfelder Kirche die zwölfte Tagesstunde verkündete und die Einweihung der Gedenktafel für den ersten Berliner Stadtkommandanten einleitete. Offizielle der Botschaft der Russischen Föderation, Parlamentarier des Senats und des Stadtbezirks, Mitglieder von Verbänden, Vereinen, Parteien und Bürger, die es für angebracht hielten, versammelten sich an der Lichtenberger Kreuzung, an der 75 Jahre zuvor der sowjetische Generaloberst durch einen tragischen Verkehrsunfall mit seinem Dienstmotorrad zu Tode gekommen war.
Es war bekannt, dass Bersarin gern und leidenschaftlich selbst fuhr, sich kurz und entschlossen in alles Mögliche persönlich einmischte und auch kein Gegner des Alkohols war. Die Tatsache, dass er bei dem Unfall nicht seine Offiziersuniform, sondern einen Monteuranzug trug, deutet darauf hin, dass er sich spontan für die Fahrt entschieden hatte, als er am frühen Morgen an der heutigen Kreuzung Straße am Tierpark/Alfred-Kowalke-Str. in hoher Geschwindigkeit gegen einen Militärkonvoi krachte. Wie dem auch sei: Was er in seiner nur 55-tägigen Amtsführung als Stadtkommandant geleistet hat, ist aller Anerkennung und der dauerhaften Dokumentation wert.
Bersarin war, wie der Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst ausführte, kein Repräsentant von Siegerposen, sondern ein Mann praktischer Taten und unmittelbarer Hilfeleistungen. Er hatte mit seinen Soldaten der 5. Stoßarmee den Oderbrückenkopf bei Küstrin überwunden, am 16. April 45 in Marzahn die Stadtgrenze erreicht, am 2. Mai die Berliner Kapitulation erkämpft und war bereits am 24. Mai während der noch andauernden Endkämpfe von Marschall Shukow zum Stadtkommandanten ernannt worden. Die Umstellung vom militärischen Befehlshaber zum Kommunalpolitiker, noch dazu unter den damaligen Umständen, fiel ihm nicht leicht. Als gebürtiger St. Petersburger hatte er erlebt, was die deutsche Wehrmacht und die SS seinem Land und seinen Menschen angetan hatten. Er wollte jedoch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; das ließ sein Charakter trotz schlimmster Erlebnisse nicht zu.
Nach dem Verbot der Nazipartei organisierte er den Antransport und die Verteilung von Lebensmitteln, vor allem Brot, Mehl, Kartoffeln und Grütze, sowie die Heranschaffung von Milchkühen, die Reparatur der Strom- und Wasserversorgung und die Wiederinbetriebnahme einiger Linien des städtischen Nahverkehrs. Er berief den ersten Berliner Nachkriegs-Magistrat, dem als OB Dr. Arthur Werner, Pfarrer Grüber, Architekt Scharoun und später der Chirurg Prof. Sauerbruch angehörten. Er erlaubte die Durchführung von Gottesdiensten und die Wiedereröffnung von Kinos und befahl die Theater-Intendanten zu sich. Am 14.05.45 beriet er mit Ernst Legal, Gustaf Gründgens, Paul Wegener, Victor de Kowa und Heinz Rühmann. Es ist vorrangig sein Verdienst, dass das Deutsche Theater bereits am 09.09.45 den Theaterbetrieb mit Lessings „Nathan der Weise“ wieder aufnehmen konnte.
Die Historiker Prof. Jürgen Hofmann und Götz Aly würdigten in ihren Beiträgen die Verdienste Nikolai Bersarins um das Kriegsende und den Neuanfang und um die Stadt Berlin. Sie erinnerten daran, dass er 1975 postum mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet worden war, die ihm jedoch wegen historisch unhaltbarer Anschuldigungen entzogen und im Jahre 2003 vom Senat erneut zuerkannt worden war.
Nicht zu vergessen sind die Verdienste Bersarins um den Berliner Pferdesport. Ohne sein Zutun wäre die Rennbahn Karlshorst wahrscheinlich längst verschwunden. Bersarin, der das Gelände zunächst für militärische Zwecke und zur Kartoffel- und Materiallagerung genutzt hatte, unterstützte die Wiederaufnahme des Rennbetriebes und veranlasste die Umsetzung von Pferdefutter von Mariendorf nach Karlshorst.
Die Referenten fanden Zustimmung für den nicht neuen Vorschlag, ein aussagekräftiges Denkmal für Bersarin zu errichten. Es sollte – so Aly – vor dem Schlossneubau und dem Reichstag stehen; dort also, wo die Rotarmisten die Niederwerfung Hitlerdeutschlands vollendeten. Das erschiene dem Autor des Beitrages sinnvoller als die „Einheitswippe“ – es sei denn, Friedrich II. repräsentierte hoch zu Ross auf dem einen und Bersarin mit nachgestalteter Beiwagenmaschine auf dem anderen Flügel ein Stück positiver Berliner Geschichte.
Eine Laudatio verdiente im Zusammenhang mit der Würdigung Nikolai Bersarins in den musealen Darstellungen auch der Direktor des Deutsch-Russischen Museums Jörg Morré, der seine Mühe damit haben dürfte, die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte und die damit verbundenen historischen Persönlichkeiten aufgrund der aktuellen Entwicklungen und Tendenzen vertretbar auszubilanzieren.
Und noch etwas bleibt zu ergänzen: Während der Veranstaltung ereignete sich auf der Kreuzung akkurat 75 Jahre danach erneut ein Verkehrsunfall, der den Einsatz von Polizei, Notarzt und Feuerwehr erforderte. Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass die Betroffenen keine ernsthaften Körperschäden erlitten haben und bald wieder genesen.
Daten zu Nikolai Erastowitsch Bersarin: Geb. am 01.04.04 in St. Petersburg, gest. am 16.06.45 in Berlin. 55 Tage 1. Berliner Stadtkommandant. Beerdigt auf dem Nowodewitsch-Friedhof in Moskau. Armeeangehöriger seit seinem 14. Lebensjahr.“